Vergleicheritis

Mir kommt es manchmal so vor, dass die Mütter die Mummy-Wars haben und die Väter den unbändigen Drang, den eigenen Nachwuchs zu vergleichen. Mit dem was Ratgeber glauben, was der Nachwuchs in einem bestimmten Alter können muss. Oder mit anderen Kindern.

Wobei es scheint, als ginge es gar nicht so sehr um den Meilenstein. Sondern viel mehr darum, dass der Meilenstein schon erreicht wird, bevor es der Durchschnitt kann oder können müsste. Verglichen wird immer mit dem Unterton, der eigene Nachwuchs sei hochbegabt. Überdurchschnittlich. Gar ein Wunderkind. Ein Ausnahmetalent. Zumindest aber was ganz, ganz besonderes.

Väter unter sich

Einmal im Monat gehe ich mit meiner Tochter zum Papa-Treff in einem Kinder- und Eltern-Kontaktzentrum. Bevor ich das erste Mal dort hin ging, stellte ich mir das wie ein Babycafé oder eine Krabbelgruppe vor – nur eben mit Vätern. Väter unter sich. Und dort können sie über ihre Sorgen und Nöte reden. Schlafprobleme, Schwierigkeiten mit dem Essen, Spiel- und Büchertipps, von mir aus auch technische Sachen rund um Kinder.

Außerdem hat die Frosch-Mama auch mal Zeit für sich.

Nur ist das dort ganz und gar nicht so. Es ist eher so, als sei man in einem Klischee gefangen. Versteht mich nicht falsch. Ich geh gern dort hin. Bei den üblichen Gesprächen sitze ich aber eher am Rande und lausche.

Es wird über den Job gequatscht. Politik – mal im Großen, mal im Kleinen. Börsenstände werden erörtert. Und manchmal geht es auch um den Nachwuchs – ab wann geht Euer Kind in den Kindergarten? Wie macht Ihr das mit der Betreuung, jetzt, da Deine Frau wieder 40% arbeitet.

Und dann wird immer wieder, so ganz nebenbei mit dem Nachwuchs geprahlt. So beiläufig wie nur irgend möglich. Wie toll doch der eigene Nachwuchs ist. Aber eben nicht mit diesem typischen Vaterstolz auf den eigenen Nachwuchs. Sondern wirklich so eine extreme Überhöhung normaler Eigenschaften.

Meine Tochter ist gar nicht gekrabbelt. Sie ist mit acht Monaten einfach gelaufen. Ja, sitzen konnte sie schon mit sieben Monaten.

Dass noch keiner der anwesenden Väter erklärt hat, dass sein Kind jetzt chinesisch lernt, wundert mich tatsächlich. Das Zitat da oben hab ich mir übrigens nicht ausgedacht. Den Satz hat ein Mit-Papa so sinngemäß und vor allem ungefragt zu mir gesagt, als der Frosch begann, sich an Möbeln hochzuziehen. Mit so’ner besonders deutlichen Betonung auf den Monaten.

Ich weiß noch, »aha« geantwortet zu haben. Aber gedacht hab ich »so what?«. Er wollte keine Unterhaltung übers Laufenlernen, sondern er wollte, dass ich ihn und sein Kind bewundere.

Richtig ärgerlich aber daran war, dass er mit diesem Gieren nach Bewunderung meine Tochter degradierte, da sie diese wundervollen Dinge nicht im gleichen Alter konnte. Und sich dann auch noch mit so Peinlichkeiten wie Hochziehen und Krabbeln beschäftigte.

Kinder sind doch kein Wettbewerb

Männer! Ich versteh ja, dass Ihr stolz auf Euren Nachwuchs seid und ihn vergöttert. Das bin und tu ich auch. Und zwar sehr. Und ich freu mich wie Bolle über jeden Meilenstein und über jedes Wort, dass sie gerade lernt. Und ich platzte fast vor Stolz als sie das erste Mal selbst gelaufen ist. Oder ihr erstes Wort sprach.

Aber ich drück die Daten nicht anderen Mit-Vätern ungefragt ‚rein – und schon gar nicht heische ich um Bewunderung der Fähigkeiten meiner Tochter. Na klar kann und soll man sich darüber unterhalten. Aber dazu benötigt es erstmal ein Gespräch rund um das Thema. Es wäre was anderes gewesen, hätte ich den Vater im obigen Beispiel gefragt, ab wann und wie denn seine Tochter Laufen gelernt hatte. Hab ich aber nicht.

Unsere Kinder sind doch kein Wettbewerb. Nur weil ein Kind früher laufen kann als andere, heißt das doch gar nichts. Und Dich als Vater macht das weder besser noch schlechter. Denn jedes Kind hat sein eigenes, ganz individuelles Tempo. Das eine Kind kann früher den Eltern davon rennen, dafür kann das andere schon recht früh Romane erzählen, das nächste lernt vielleicht spät sprechen, kann dafür aber ganz schnell bis zehn zählen.

Ich will kein Wunderkind

Nebenbei tut Ihr so, als sei Euer Kind ein Wunderkind (und vielleicht hofft Ihr wirklich insgeheim darauf) … Habt ihr Euch schonmal überlegt, was das heißt? Ein hochbegabtes Kind zu haben? Ein vermutlich permanent unterfordertes Kind? Eines, dass es später in der Schule verdammt schwer haben wird – weil vielleicht die Lehrer zuerst auf ADHS tippen, statt auf Hochbegabung. Oder gar nicht wissen, wie sie mit Hochbegabung umgehen sollen? Das im Kindergarten (Prädikat »Sonderbar«) oder von Mitschülern geschnitten und gemieden wird (Prädikat »Streber«). Das beim Überspringen einer Klasse das jüngste Kind sein wird? Und dann als Eltern die Rennerei rund um die Bürokratie – denn unser Schulsystem ist nicht für hochbegabte Kinder ausgelegt.

Nein, all das will ich nicht. Ich wünsche meinem Kind, dass es ganz »normal« ist – soweit ein Individuum überhaupt normal sein kann. Ich wünsche ihr, dass sie später gern in die Schule geht. Dort viele Freunde hat. Mal gute, mal schlechtere Noten schreibt. Mal Stoff einfach lernt und mal ihre Schwierigkeiten hat. Einfach so ein ganz normales Kind.

Ich bin einfach nur stolz auf meinen Frosch und freu mich über alles, was sie lernt. Dazu muss ich aber nicht nachschauen, wann ein Ratgeber glaubt, dass sie das hätte lernen müssen, noch muss ich sie dazu mit anderen Kindern vergleichen. Sondern ich muss es einfach nur genießen, dass sie diese eine Sache jetzt kann. Und das lass ich sie wissen.