Kindermode und andere Krankheiten

Kindermode und andere Krankheiten

Aus Gründen trage ich seit 25 Jahren ausschließlich Levi’s 501 in unterschiedlichen blau- und schwarztönen. Vor acht Jahren war ich beruflich drei Wochen im Hudson Valley (New York State) und nutzte die Chance mich günstig mit 20 Paar 501ern einzudecken und von dem Bestand zehre ich bis heute. Ich hoffe inständig, dass das auch noch bis zu meiner Rente so bleibt.

Gehe ich T-Shirts oder Pullover kaufen, renne ich in einen(!) Laden, haste in die Männerabteilung, schau mir ein paar Shirts an und nehme die, deren Motiv mir zusagen in Größe XL. Am liebsten jedes Stück mehr als einmal — ich will möglichst nur einmal pro Jahrzehnt Klamotten kaufen. Klappt selten bis nie, aber man darf ja träumen.

Rollenklischees galore, aber ich war, bin und werde immer sein: ein Mode- und Shoppingmuffel erster Güte.

Und das bringt mich zu meiner Tochter.

Seit letzten November hat sie Lieblingskleidungsstücke. Los ging es mit einem rosa Unterhemd aus dem Fundus ihrer Cousine. Vorn d’rauf sind zwei Engel, ein paar Sterne und eine Wolke. Sie liebt dieses Hemd über alles.

Nach zwei Tagen ununterbrochenem Tragen mussten wir all unsere Überredungskünste auffahren um sie dazu zu bekommen, das Unterhemd wenigstens nur noch Nachts zum Schlafen zu tragen. Nach drei Tagen machte ich mir Sorgen, ob nicht das Hemd plötzlich mit meiner schlafenden Tochter durchs Schlafzimmer wandeln könnte. Ich kann Euch beruhigen: das passierte nichtmal nach fünf!

Wir bekamen sie dazu es uns waschen zu lassen, als ich ihr versprach, nach diesem Hemd in dem Laden zu suchen und so ich es bekomme, noch welche zu kaufen.

Mit meiner gesammelten Klamottenjäger- und Sammlererfahrung ging ich also in den Laden aus dem das gute Stück stammte und wollte in meiner grenzenlosen Naivität eben dieses Hemd zehnmal kaufen. Wenn sie es so liebt, soll sie doch meinetwegen darin in drei Jahren eingeschult werden. Zu meiner Überraschung (ja, was war ich naiv!) gab es das Hemd, das im Jahr zuvor gekauft wurde, nicht mehr. Schlimmer noch: es gab überhaupt keine Engel mehr auf Kinderkleidung. Engel, pah! So old-fashioned.

Was aber haben denn die armen Engel so böses getan, dass die Modeindustrie (Obacht: unzulässige Verallgemeinerung) sie in 2016 ignorieren musste? Hatte eine Markstudie unter dreijährigen eine einhellige Ablehnung von Engelmotiven in der Wintersaison 2016 ergeben? Hat Infratest eine repräsentative Haushaltsumfrage gemacht? Wie können Engel überhaupt jemals aus der Mode kommen?

Glauben die Modehersteller, die neue Generation der dreijährigen wolle sich von den dreijährigen des letzten Jahres auf Teufel komm raus unterscheiden. Ich stell mir die dreijährigen vor, die ihre Eltern im Laden mit einem mitleidigen Blick, aus dem Verachtung und Unverständnis spricht, versuchen zu erklären, dass das doch letztes Jahr in Mode war. Sowas trage ihre Generation nicht! Das sei so 2015!

Was soll das?

Sollen wir denn jetzt jedesmal, wenn dem Kind etwas gefällt, gleich die nächsten drei Größen je dreimal kaufen, weil es absehbar ist, dass dieses eine Kleidungsstück in wenigen Monaten nicht mehr zu haben sein wird?

Schuhe! Ich war letzten Herbst mit der Tochter Hausschuhe für die KiTa kaufen. Sie hatte sich ein Paar Slipper mit Sterne ausgesucht und liebt sie heiß und innig. Nun löst sich an beiden Schuhen vorn langsam die Sole. Wir bräuchten dringend Ersatz. Und sie will auf jeden Fall die gleichen Schuhe wieder haben.

Es sei mir hier ein Einwurf erlaubt: es ist nicht gerade ein Ausweis an Qualität, wenn Schuhe nicht entsorgt werden müssen, weil das Kind gewachsen ist, sondern weil sie kaputt sind, bevor das Kind den Schuhen entwachsen ist.

Doch zurück zum Thema. Wie sag ichs meinem Kind: es gibt diese Schuhe nicht mehr! Die Verkäuferin schaute mich total ungläubig an und erklärte mir dummen Mann der in Modesachen so schwer von Begriff ist, dass sie diese Schuhe im letzten Jahr im Programm hatten. Es fehlte nur noch, dass sie fragte, was ich mir wohl dabei gedacht hätte. WTF?!

Was soll das? Es geht um Kleidung für kleine Kinder! Kinder! Kleine Kinder lieben Wiederholungen und kleine Kinder mögen keine Veränderungen. Veränderungen gehen gar nicht.

Also liebe Modeindustrie: Könntet Ihr bitte wenigstens einen Teil Eurer Kinder-Kollektion länger als ein paar Monate im Programm haben? So wenigstens zwei- oder drei Jahre oder gerne auch länger?

Das fänden meine Tochter und ich total Knorke.