Warum wir dauernd zählen

Geboren wurde dieses Ritual eher aus Zufall. Die Kleine war vielleicht etwas älter als ein Jahr alt und war sehr in ihr Spiel vertieft. Ich sagte ihr, dass sie noch fünf Minuten spielen dürfe, es aber dann ins Bett ging. Ich erwartete nicht, dass sie verstand, was fünf Minuten seien. Aber ich dachte, vielleicht hilft es ihr zu hören, dass jetzt gleich etwas passieren wird.

Seit diesem Abend machen wir das jeden Abend. Später änderten wir das zu einem Countdown: noch fünf Minuten, noch vier Minuten, noch drei Minuten, …. Und neben der Zeit kündigen wir auch an, was dann passieren wird: es geht ins Bett, dann gehen wir essen, dann … Nach jeder Zeitansage versichere ich mich, dass sie mich gehört hat und wiederhole es im Zweifel bis sich mich gehört hat.

Es ist nicht so, dass ich mit der Stoppuhr neben ihr sitze und die Minuten zähle. Sagen wir eher, das sind variable Minuten. Wir passen die länge einer Minuten auch mal an das an, was sie gerade tut. Wenn ich sehe, dass ihr 120 Sekunden nicht mehr reichen, wandle ich es zu „dominikanische Sekunden“[1]

Manchmal kommt es noch vor, dass sie am Ende des Zählens noch verhandelt — „bitte noch zwei mal, Papa!“ oder „noch soviel Minuten“ und hält dabei alle Finger gestreckt in die Luft. Wenn noch Zeit ist, schlag ich ihr einen Kompromiss vor. „Noch einmal und dann gehen wir“ oder „okay, noch drei Minuten“. Auf diese Kompromisse lässt sie sich bereitwillig ein.

Uns hilft das ungemein. Ihr gibt das wohl einen Rahmen innerhalb dessen sie genau weiß, dass bald Schluss ist mit dem, was sie gerade tut. Uns Eltern hilft es, weil sie nach dem Countdown kooperativ ist und in der Regel ohne Protest oder Geschrei aufhört. Und wenn sie verhandelt, hat sie zumindest einen Teilerfolg errungen und ich hab meine Nerven geschont.

Ich glaube, ich musste mein Kind nur ein oder vielleicht zwei Mal unter Protestgeschrei vom Spielplatz tragen. In der Regel funktioniert diese Methode wirklich wunderbar.


Neulich war eine Kindergartenfreundin der Kleinen bei uns zu Besuch. Das erste Mal ohne ihre Eltern. Nach einer Stunde kam ihr Vater um sie zu holen. Er sagte ihr, sie müssten jetzt gehen und beendete recht abrupt deren Spiel. Die Freundin war sichtlich überrascht und erbost und wollte noch länger. Am Ende trug er sie schreiend und strampelnd zum Auto.

Ein paar Tage später wollte die Freundin wieder zum Spiel zu uns kommen und versprach ihren Eltern hoch und heilig diesmal „kein Theater“ zu machen. Und tatsächlich, sie ging freudestrahlend mit ihrer Mutter nach Hause. Wir können uns täuschen und die Kleine hielt sich tatsächlich an ihr „Versprechen“ — zumindest so das mit vier Jahren so einfach möglich ist. In diesem Alter sind Kinder eher noch Lust- denn Vernunftorientiert.

Es kann aber auch daran liegen, dass ihre Mutter kurz bevor sie zum Abholen kam, angerufen hat um uns mitzuteilen, dass sie gleich käme. Und wir der Freundin natürlich gleich sagten: „in zehn Minuten kommt Deine Mama dich abholen“ und dann eben auch einen Countdown machten.


Gerade im Urlaub können wir das auf dem Spielplatz auch an anderen beobachten. Eltern, die ihre Kinder mit einer Form von „gleich ist schluss“ auf das Ende vorbereiten, haben viel weniger Probleme ihre Kinder zum mitkommen zu überreden, als andere, die abrupt das Spiel mit „komm, wir gehen jetzt essen“ beenden.

Ich will nicht sagen, dass das immer und bei jedem Kind funktioniert. Aber aus unserer Erfahrung heraus finde ich, dass es einen Versuch wert ist.


Habt Ihr auch eine solche Methode? Wendet Ihr vielleicht auch einen Countdown an? Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht? Würde mich sehr interessieren. Lasst es mich in den Kommentaren wissen.


  1. Als wir vor zehn Jahren in der Dominikanischen Republik Urlaub machten, wollten wir einen Bootsausflug machen. Wir warteten aber noch auf den Steuermann. Der einheimische Fremdenführer meinte, es könne nur noch eine Minuten dauern — eine dominikanische Minute. Die liege irgendwo zwischen fünf Sekunden und zwei Stunden. Nach geschlagenen 45 Minuten kam der Steuermann dann auch. ↩︎